Lindauer Marionettenoper
Bernhard Leismüller
"Lebendiger als in der großen Oper" - Dieser Eintrag im Gästebuch bringt die Philosophie der Lindauer Marionettenoper auf einen Punkt. Wenn die Zuschauer vergessen, dass auf der Bühne "nur" Marionetten agieren, haben die Puppenspieler der Marionettenoper ihr Ziel erreicht. Erst wenn man glaubt, die Puppen atmen zu hören, in ihren Gesichtern Freude oder Traurigkeit, Glück oder Schmerz entdeckt, ist das Bewegungsspiel vollkommen. Den menschlichen Vorbildern möglichst nahe zu kommen, ist der Kern der Philosophie der Marionettenoper.
Der Ursprung jeder Bewegung liegt dabei in der Musik. Keine Note ist zufällig. Keine Bewegung ist zufällig. Wann eine Figur einen Schritt macht, sich hinsetzt, wieder aufsteht, ist von der Partitur inspiriert. Welche Bilder der Komponist bei der Erarbeitung eines Werkes im Kopf hatte, ist natürlich nicht mehr en detail nachvollziehbar. Dennoch ist davon auszugehen, dass die großen Werke der Musikliteratur nicht einfach nur Vertonungen von Gefühlen beziehungsweise Stimmungen sind, sondern sehr detailgenaue musikalische Umsetzungen szenischer Abläufe. Bilder und Musik sind untrennbar miteinander verbunden. Oper ist immer artifiziell. Oper ist kein Schauspiel mit Gesang. Deshalb wird das gesamte Bewegungsspiel der Marionettenoper choreografisch abstrahiert. Dabei ist jedes noch so kleine Detail bedeutsam. Da eine Marionette eben keine Mimik besitzt, müssen alle Formen des Ausdrucks über Gesten transportiert werden. Ob eine Haltung demütig oder traurig ist, darüber können beispielsweise bei einer Kopfbewegung Millimeter entscheiden.
Da eine Marionette nicht singen muss, ist sie in ihrem Bewegungsspiel freier als ein Opernsänger auf einer großen Bühne. Deshalb kann ein Choreograph, der mit Marionetten arbeitet, viel detailgenauer auf die musikalische Vorgabe eingehen als bei der "großen" Oper. Diese Freiheit ist für die die Marionettenoper Verpflichtung. Und Leidenschaft.
Kostüme, Bühnenbilder und Kulissen sind von den historischen Vorbildern aus der Entstehungszeit der jeweiligen Opern inspiriert. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Epochen der Musikgeschichte ist für die Lindauer Marionettenoper immer ein spannender Prozess. Deshalb findet man im Repertoire auch keine postmodernen Bearbeitungen historischer Stoffe.
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