PMO-Theaterkritik: Vom Mut, noch einmal aufzubrechen
Kobalt Figurentheater Lübeck: „Die Bremer Stadtmusikanten“
Alt werden macht keinen Spaß. Der Esel, der die schweren Säcke nicht mehr zur Mühle tragen kann, taugt nach Ansicht seines Herrn nur noch für die Salami. Den Hund will eine wütende Jägerin sogar regelrecht „abknallen“, weil die flinken Wildschweine im Wald ihm davonrennen. Auch die Katze hat nicht mehr die Kraft, den käseklauenden Mäusen (in einem knallroten Ferrari) hinterher zu hetzen, deshalb soll sie ertränkt werden. Und auf den Hahn wartet der Suppentopf – denn am nächsten Tag werden Gäste erwartet. Nein, es weht kein guter Wind für die vier Gefährten, die sich auf ihre alten Tage noch mal auf den Weg machen müssen. Nach Bremen wollen sie ziehen, um dort Stadtmusikanten zu werden. Denn aufs Musizieren verstehen sie sich.
Bevor aber das tierische Quartett zu seiner ungewissen Reise aufbricht, betreten im Kobalt Figurentheater zunächst zwei Altwarensammler die Bühne. Sie selbst sind mit einem Handkarren unterwegs und suchen nach Brauchbarem, was andere weggeworfen haben. Insgeheim aber träumen sie davon, Geschichtenerzähler zu sein und groß raus zu kommen. Also fangen sie an, das Märchen von den vier Freunden zu spielen, die ihr Lebensmut und ihre Liebe zur Musik vereint. Der Karren der eigenwilligen Vagabunden verwandelt sich dabei mit wenigen Handgriffen und ein bisschen Phantasie in immer neue Szenerien. Wie gut, dass die beiden alte Dinge aufbewahren: Ein Eimer, ein paar Holzstücke, ein Wagenrad oder eine abgebrochene Garderobe – kann man alles gut gebrauchen für einen Wald oder ein Räuberhaus.
Franziska Technau und Stephan Schlafke geben sich mit dieser Rahmenhandlung die Freiheit, fließend zwischen Erzähler und Puppenspieler hin- und herzuschwingen. So geschickt sind die beiden Perspektiven miteinander verwoben, dass neben dem bekannten Märchen der Bremer Stadtmusikanten auch eine zweite Geschichte erzählt wird, die in mancherlei Hinsicht ähnlich ist. Auch die beiden Altwarensammler machen sich auf, etwas Neues auszuprobieren und ihr Glück zu versuchen. So wie die vier Tiere, die das Schicksal zusammengeführt hat und die Gewissheit, dass sie überall etwas Besseres finden können als den Tod.
Sehr real gilt das auch für die Figuren. Sie stammen aus der Hand der Bildhauerin und Figurenbauerin Doris Gschwandtner und standen „second hand“ zum Verkauf. Ihnen wurde also nicht der Garaus gemacht, sondern sie wanderten weiter, zwar nicht nach Bremen, aber dennoch in den Norden, nach Lübeck. Man sieht ihnen an, dass sie schon ein gutes Stück Weg hinter sich haben, hier und da ist das Fell ein bisschen struppig, die Farben ein wenig ausgeblichen. Aber gerade deshalb passen diese Stadtmusikanten so gut in das Stück. Denn Schönheit hat eben nichts mit Makellosigkeit zu tun, im Gegenteil: Ein paar Lebensspuren machen auch Figuren auf der Bühne nur noch interessanter.
Knuffige Gesellen sind im Übrigen auch die Räuber: Ihre Gesichter und Frisuren wurden von Denise Puri auf kleinen Säcken gestaltet, die rundlich über die Bühne hopsen. Vor diesen Ganoven muss niemand Angst haben. Dass die Tiere die Räuber in ihrem Unterschlupf überraschen und später den Späher von ihnen in die Flucht schlagen, erzählen Technau und Schlafke mit geschwinder Leichtigkeit, ohne Grusel oder Getöse. Bei ihnen sind auch die Räuber eine Bande von Heimatlosen, die durch die Lande ziehen auf der Suche nach ein bisschen Geborgenheit. Halunken sehen anders aus!
Gut möglich, dass unterdessen die beiden Altwarensammler ihr kleines Glück gefunden haben. Denn Erzählen, das können die beiden. Und Bühnenbilder aus dem Nichts erschaffen sowieso. Sie können sogar singen und Ukulele spielen. Vor allem aber können sie Freude verbreiten und Zuversicht, obwohl es doch den vier selbsternannten Stadtmusikanten an den Kragen gehen soll. Diese Inszenierung ermutigt Kinder, sich nicht unterkriegen zu lassen und gemeinsam Sachen auszuprobieren. Aber auch Eltern und Großeltern verlassen die Aufführung mit der stillen Ermunterung, sich vielleicht noch einmal auf den Weg zu machen. Wer weiß, wohin. Denn wenn man von den Stadtmusikanten etwas mitnimmt, dann dies: Der Tod kann warten.
Klaus Grimberg
Spiel: Franziska Technau, Stephan Schlafke
Regie: Dietmar Staskowiak
Bühnenbild: Thomas Rump
Figuren: Doris Gschwandtner, Denise Puri
Kostüme: Denise Puri