Und kann ich jetzt mit Theater die Welt retten?
- Von Annika Schaper, Absolventin des Studiengangs Zeitgenössische Puppenspielkunst an der HfS "Ernst Busch" in Berlin
- Erschienen in Ausgabe Nr. 128 (2024/1)
Von der Hochschule in den Beruf: Von magischen Meilensteinen, Klick-Momenten und dem Ziel Nachhaltigkeit
Lange habe ich geglaubt, es gäbe gewisse Meilensteine im Leben: Wenn man sie erst einmal erreicht hätte, würden sie einen auf magische Weise verändern. Dabei dachte ich meistens an eine Veränderung, die mich selbstbewusster, mutiger und irgendwie ein bisschen reifer machen würde. Eben so wie diejenigen wirkten, die diese Meilensteine erreicht hatten. Doch an jedem meiner Meilensteine stellte ich fest, dass sich die erwartete Magie nicht ereignen wollte. Ich wurde natürlich nicht plötzlich eine bessere Version von mir selbst, sondern ich war immer noch Ich mit meinen Ängsten, Wünschen und Träumen.
Vier Jahre Puppenspielstudium gehen jetzt für mich zu Ende. Wieder ein Meilenstein. Wieder wird es Zeit, Bilanz zu ziehen. Habe ich mich verändert? Wo möchte ich als nächstes hin? Diese Zeit war voller Hoch- und Tiefpunkte und verging viel zu schnell. Teilweise verstehe ich erst jetzt in der Rückschau auf die letzten vier Jahre, was ich alles gelernt habe. Ich kann erahnen, welche Fähigkeiten ich bereits erlangt habe, aber vor allem, was mir alles noch fehlt.
Eine Dozentin sagte am Beginn des Studiums, dass das eigentliche Lernen erst mit der Praxiserfahrung am Theater beginnen würde. Ich kann mich erinnern, dass ich das damals innerlich ein bisschen belächelt habe. Die Praxis am Theater erschien mir noch so weit weg und vier Jahre Studium so lang, in denen man doch ganz bestimmt sehr viel lernen würde.
Nun stecke ich mitten in meinen Praxiserfahrungen, denn ich spiele bereits dieses Jahr als Gast in Produktionen an zwei Häusern mit. Mit ein bisschen Abstand zur Hochschule beginne ich zu verstehen, was meine Dozentin damals gemeint haben könnte. Mir fallen längst vergessene Unterrichtsinhalte ein, die ich im ersten und zweiten und dritten Jahr wieder und wieder nicht verstehen konnte und bei denen es jetzt auf einmal „klick“ macht.
In den ersten Studienjahren, als das Studium vollgepackt war mit den unterschiedlichsten Fächern, wusste ich manchmal nicht, wie ich noch irgendetwas in mir aufnehmen sollte. Ich fühlte mich wie ein Rohr, in das den Tag über so schnell so viel Unterschiedliches hineingestopft wird, dass es irgendwann verstopft und gar nichts mehr aufnehmen kann. Wenn ich dann am Wochenende das Rohr vom anderen Ende zu leeren versuchte, fiel alles gleichzeitig heraus und landete auf einem unsortierten Berg. Am Anfang habe ich versucht, mir genaue Notizen über alle Unterrichtsinhalte zu machen, aber wie notiert man sich die erlebte Konzentration auf den eigenen Körper aus dem Bewegungsunterricht oder das Gefühl, wenn die eigene Stimme wirklich ganz ohne Anstrengung aus der Mitte des Körpers kommt? Schnell habe ich bemerkt, dass ich mir zwar einzelne Übungen und Gedanken notieren kann (und für diese Notizen bin ich jetzt dankbar), nicht aber den eigentlichen Kern des Gelernten. Ich musste auf mein (Körper-)Gedächtnis und das viele Üben vertrauen.
Jetzt stehe ich kurz vor meinem Diplom und muss entscheiden, womit ich mich als nächstes beschäftigen möchte. Nach drei Jahren vorgegebenem Inhalt steht die Frage im Raum: Was interessiert mich denn eigentlich? Ich merke immer deutlicher, dass ich das Bedürfnis habe, Kunst zu machen, die eine gesellschaftliche Bedeutung hat. Da sehe ich für mich mit meinen Stärken und Interessen zwei Möglichkeiten: Erstens sehe ich ein großes Potential im Kinder- und Jugendtheater. Ich glaube an den Bildungsauftrag des Theaters und bin überzeugt, dass ein gut gemachtes Stück für junges Publikum alle Altersklassen berühren und beeinflussen kann. Deshalb wird meine Diplominszenierung, für die ich nochmal zurück an die Hochschule
gehe, ein Stück für Kinder.
Zweitens ist Nachhaltigkeit in meiner Auffassung eines der aktuell wichtigsten Themen. Im Zeichen der Klimakrise glaube ich, dass sich die ganze Gesellschaft verändern muss und ich möchte meinen Teil dazu beitragen: In meiner Diplomarbeit werde ich mich deshalb mit dem Thema „Theater und Nachhaltigkeit“ befassen, damit meine ich sowohl im Theaterbetrieb, als auch thematisch auf der Bühne. Ich weiß nicht genau, wohin es mich in Zukunft treibt, an ein festes Haus oder in die Freie Szene. Aber ich weiß, dass Kindertheater und Nachhaltigkeit ein Teil davon sein sollen. Und vor allem weiß ich, dass ich spielen möchte.
Jetzt stehe ich also wieder vor so einem Meilenstein. Obwohl ich es längst besser weiß, denkt ein Teil von mir auch: „Wenn ich erst mein Diplom habe, dann bin ich so 'ne richtige Rampensau, dann kann ich alles spielen und habe vor nichts mehr Angst.“ Aber ich habe in den letzten vier Jahren verstanden, dass hier wirklich gilt: Der Weg ist das Ziel. Dass dieser Weg nicht mit dem Diplom abgeschlossen ist, sondern eigentlich gerade erst beginnt und dass es in diesem Beruf immer noch etwas zu lernen gibt, weil man nie alles können kann. Und dass gerade das die Magie des Puppenspiels ist.