Hemmschwellen und Hürden
- Von Angelika Maria Gök, hands&company Figurentheater
- Erschienen in Ausgabe Nr. 128 (2024/1)
Ein Gespräch mit Lukas Schneider, dem Gewinner des Fritz-Wortelmann-Preises 2023, über den Berufsstart als Puppenspieler und die ferne Nähe zu den Verbänden
„Bin ich jetzt tatsächlich ein Profi? Also in dem Sinne, dass ich mich eine:n professionelle:n Figurenspieler:in nennen darf, in diesem Beruf tätig bin und deswegen auch Mitglied im VDP sein kann? Aber ich habe bis jetzt doch nur drei Gastspiele mit meinem Bachelor-Abschluss akquirieren können. Und dann gibt es noch eine Anfrage für die Teilnahme an einem Projekt. Aber das ist noch gar nicht sicher. Es kann sein, dass ich erst einmal weiter jobben muss. Das ist doch nicht professionell! Und an wen kann ich mich eigentlich wenden? Soll ich anrufen? Wie stelle ich mich dann vor? Oder lieber eine E-Mail schreiben? Ob ich da eine Antwort bekomme? Der Mitgliedsbeitrag ist ziemlich hoch im Verhältnis zu meinen Einnahmen. Außerdem beschäftigen mich gerade ganz andere Fragen: Wie schaffe ich mir eine Arbeitsstruktur, einen Arbeitsrhythmus? Ich brauche eine Werkstatt, einen Probenraum, je nach Größe meiner Produktionen auch ein Auto. Vielleicht sogar ein Büro? Mache ich meine Buchhaltung selbst? Brauche ich einen Steuerberater? Wo finde ich den? Wann und wo und wie bewerbe ich mich für Projektmittel? Was will ich eigentlich? Spielen? Regie führen? Figuren bauen? Solo spielen oder im Ensemble? Für Kinder oder/und Erwachsene? Oder alles zusammen? Brauche ich eine:n Projektmanager:in? VDP-Mitgliedschaft? Ich weiß nicht. Irgendwie ist mit gerade alles zu viel.“
Viele Fragen, kaum Antworten: Lukas Schneider beschreibt anschaulich die Situation vieler Studierender, die gerade ihren Abschluss an der Hochschule erfolgreich absolviert haben und nun plötzlich selbständig sind. Während des Studiums sind sie eingebettet in ein funktionierendes System und ein Netzwerk, erklärt Lukas. In dieser Zeit liegt das Augenmerk ganz klar darauf, die eigenen künstlerischen Fähigkeiten zu entdecken und zu entwickeln und auf der Bühne und in der Werkstatt zu erproben.
Als der VDP sich in seinem ersten Semester an der HMDK in Stuttgart vorstellt, erzählt mir Lukas ganz offen, da hat er völlig andere Dinge im Kopf. „Es war viel zu weit weg. Außerdem würde ich sowieso zurückgehen in die Schweiz.“
Der Preisträger des Fritz-Wortelmann-Preises 2023 kennt sich in seinem ganz persönlichen künstlerischen Werdegang mit „Hemmschwellen und Hürden“ aus. Schon als Kind hat er sich, so sieht er es im Rückblick, für das Genre begeistert. Wenn ihm die Patentante zu jedem Geburtstag eine neue Kasperfigur schenkte, hat er sie gleich mit Leben erfüllt. Und an Ostern hat er die Schokohasen in ihrem Nest neu drapiert und animiert.
Als er sich mit der Berufswahl beschäftigt, spürt er den Drang zum künstlerischen Beruf, erwartet einen Anstoß von außen, doch der bleibt aus. Er entscheidet sich, Zimmermann zu lernen, arbeitet dann auch in diesem Beruf. Im Alter von 20 Jahren meldet sich die innere Stimme wieder. Er googelt den Studiengang in Stuttgart. Aber die Anforderungen für die Aufnahmeprüfung erscheinen ihm unklar. Er traut sich wieder nicht. Und er ist auch noch nicht bereit, ins Ausland zu gehen. Mit 30 Jahren gibt die innere Stimme nun keine Ruhe mehr. Lukas Schneider berichtet, dass er zwei Jahre lang an einer Weiterbildung von Margrit Gysin teilgenommen hat. Das ermutigt und bestärkt ihn – der persönliche Kontakt mit einer Profi-Spielerin. Zwei Jahre später wird er in Stuttgart an der Hochschule angenommen.
Im Studium ist er zielstrebig. Es kennt sich aus mit Berufsverbänden und weiß um ihre Bedeutung: Netzwerken, sich für einen Theaterpreis bewerben, Kontakte suchen und finden; an einer Sache dranbleiben, nicht aufgeben. Den Fritz-Wortelmann- Preis holt er im zweiten Anlauf. Doch den Austausch mit den Kolleg:innen vor Ort findet er fast wichtiger als den Preis selbst. „Den hätten die anderen auch verdient“, sagt er bescheiden. Unter Kolleg:innen empfindet er eher ein Miteinander als ein Gegeneinander. Da hat sich nach seiner Ansicht in den letzten Jahren einiges verändert. Das Besondere an dem Genre sei eben, dass die Szene zwar verhältnismäßig übersichtlich, in ihrer Bandbreite aber sehr vielfältig sei.
Auch in seinem Stück „Scaena Corpus - Mann und Puppe nehmen Maß” thematisiert Lukas auf sehr eindrückliche Weise Hemmschwellen und Hürden. Es geht um die Wahrnehmung des eigenen Körpers, um Erwartungen an Körperbilder und Schönheitsideale. Mit Figuren in verschiedenen Größen, einfachen Skizzen auf Plexiglas und einem beweglichen Spiegelbild erforscht er die Untiefen seiner Selbstwahrnehmung und erwischt die Zuschauer:innen damit nachhaltig, ihre eigene Körperwahrnehmung zu prüfen. Er überwindet selbst Hemmschwellen auf der Bühne und ermutigt dadurch das Publikum.
Zurück zum Nachwuchsthema. Die Vorstellung der Verbände im Februar hat ihm noch einmal vor Augen geführt, was alles bereits erreicht worden ist in der Vergangenheit und wie wichtig es ist, das Erreichte weiter zu entwickeln. Zwei Ideen kommen uns zum Ende unseres Gesprächs in den Sinn. Zum einen könnte es nach der offiziellen Vorstellung der Verbände noch ein offenes Format geben, bei dem einfach miteinander „geplaudert“ wird. Denn die Studierenden suchen das persönliche Gespräch. In diesem Punkt sind wir uns direkt einig. Das sei doch auch ein Markenzeichen des VDP, meint Lukas. Zum anderen könnte es „first partnerships“ geben, wie er es nennt. Gibt es im Verband eine:n spezielle:n Ansprechpartner: in für die Studierenden? Oder gibt es „Patenschaften“ zwischen erfahrenen Mitgliedern und jungen Künstler:innen? In welchem Format könnte so etwas stattfinden – gemeinsamer Workshop, Produktion, Zoom-Meeting mit Beratung?
Figurenspieler:innen zeichnen sich durch ganz unterschiedliche Biografien aus. Unser Beruf und unsere Lebenswelten sind so divers, dass es keine Anleitung nach Schema F geben kann. Umso wichtiger ist eine Begleitung auf dem Weg in die Selbständigkeit. Dies können die Hochschulen nicht leisten. Im Gespräch mit Lukas Schneider habe ich verstanden, dass wir als Verband unseren Fokus auf die Situation der Absolvent:innen richten und sie dort abholen müssen, wo sie gerade stehen, nämlich am Anfang. Da ist ein persönlicher Kontakt offenbar das Wichtigste. Denn das bedeutet ganz konkret: Hemmschwellen abbauen und Hürden überwinden.