"Gibt´s das auch als Buch?"

  • Von Christoph Buchfink
  • Erschienen in Ausgabe Nr. 130 (2025/1)

Solides Handwerk, ein sehr langer Atem und ein bisschen Glück: Über das Theater- und Kinderbuchprojekt „Lykke Eira – Zwergenreise“

Wer eigene Geschichten auf die Bühne bringt, kennt die Situation: Nach der Aufführung drängen sich die Kids oder Erwachsenen an der Bühne, wollen die Figuren aus nächster Nähe sehen, machen sich Gedanken über die Technik oder wollen die Geschichte am liebsten noch einmal erleben. „Gibt's das auch als Buch?“, war eine der meist gestellten Fragen nach meinen Auftritten. Und wie gerne hätte ich sie mit „ja“ beantwortet, aber es blieb nie genügend Zeit dafür.

Warum ist es so schwer, eine Theatergeschichte in ein gutes Kinderbuch umzuwandeln?

Ein gut funktionierendes Theaterstück lebt von spannenden Situationen oder witzigen Dialogen, also vor allem von situativen Momenten, deren Vielschichtigkeit sich von alleine überträgt. Beim Versuch, das alles in schriftliche Erzählform zu bringen, musste ich feststellen, wie viel geschriebenen Text eine kleine Szene plötzlich benötigt. Denn eine Buchgeschichte folgt ganz anderen Dynamiken als das direkte Spiel im Theater. Der Text
darf nicht zu ausführlich sein und muss dennoch innere Bilder entstehen lassen, muss es schaffen, Gefühle durch Worte zu vermitteln, hat also eine ganz eigene Erzählgeschwindigkeit. Auch die Lesegeschwindigkeit der Kinder muss mithalten können, um nicht den Faden und damit die Spannung zu verlieren.

Nachdem ich einige meiner Theatergeschichten in Textform transkribiert hatte, musste ich enttäuscht feststellen, dass sich die Dynamik des Theaterstücks nicht eins zu eins übertragen lässt. Und jede Geschichte schien eine ganz andere Lösung zu brauchen: Mehr Bild und weniger Text, also eher ein Bilderbuch? Zu komplex für ein Bilderbuch, also eher ein Kinderroman oder eine Vorlesegeschichte? Welche Erzählperspektive? Wie viele Details passen überhaupt hinein?

Im Grunde ist es der umgekehrte Prozess, den wir von der Inszenierung eines Kinderbuchs als Figurentheaterstück kennen: Die Geschichte muss in eine ganz eigenständige Form gebracht werden. Und dafür bedarf es einiges an Handwerk.

Kurzgeschichten zum Download

Die ersten Kurzgeschichten, die mein bester Freund Andy Clapp und ich veröffentlichten, stammten aus unserem Figuren-Impro-Programm „Wie im Märchen“. Hier erfinden wir seit ca. 20 Jahren auf der Bühne komplette Abenteuer im Märchenstil aus den Ideen und Vorschlägen der Kinder, die mitunter eine ganze Stunde dauern können. Dazu nutzen wir unser eigenes Schauspiel, Erzählungen und jede Menge kleiner und großer Puppen bzw. Figuren.

Oft entstanden während dieser Aufführungen großartige neue Märchen, die wir unbedingt aufschreiben mussten, denn es wäre zu schade gewesen, sie der Vergessenheit anheim zu geben.

Zuerst veröffentlicht als E-Books über „neobooks“ waren sie mehrere Monate lang in den Top 100 der Kurzgeschichten-Downloads bei Amazon – aber nur solange sie kostenfrei zu haben waren. Nach jeweils sechs Wochen mussten sie 0,99 € kosten und in Nullkommanix landeten sie auf Platz 700.000 oder noch weiter hinten. Was für ein Erfolg. Immerhin haben wir damit bis zu 3,50 € pro Jahr verdient, wow!

Als dann aber der Shutdown 2020 plötzlich über die Familien hereinprasselte, bauten wir uns kurzerhand eine spezielle Webseite und boten jede Woche ein oder zwei unserer insgesamt vierzehn Kurzgeschichten zum kostenlosen Download an. Das war auch ein Erfolg! Die Webseite ist immer noch aktiv, wer reinschauen möchte: https://www.wie-im-maerchen.de/

Das neue Projekt

Derart erfahrungsgestärkt wollte ich meine nächste Theatergeschichte auf alle Fälle zeitgleich als Kinderbuch herausgeben. Die Idee und erste Skizzen lagen bereits vor: Bei einer Familienreise nach Norwegen saß ich eines Nachmittags auf der Terrasse unseres Ferienhäuschens und blickte voll Sehnsucht auf die weiß glitzernde Kuppe des Folgefonna-Gletschers. Eine magische Anziehungskraft ging davon aus. Da ich aber nicht mal eben dort hochklettern konnte, schließlich lag ein ganzer Fjord zwischen uns, fing ich an zu skizzieren. Zuerst den Gletscher, das Häuschen und dann die verrücktesten kleinen Figuren: Blondschleichen, Schabernöcks, Grashälmchen, Wassergnome, Halbflinger, Quarzlinge, Moosmoffen und Schneezwerge Das Team für die Geschichte war damit gesetzt.

Handwerk, oh Handwerk

Nun ja, für eine Kurzgeschichte reichten meine Schreiberfahrungen noch ganz gut, aber für einen komplexen Kinderroman mit mehreren Handlungsebenen? Also flugs eine Online-Fortbildung im Bereich Kinder- und Jugendbuch gebucht, dann noch einen Kurs zum Thema „Heldenreise“, dem für meine Geschichte passendsten Erzählplot (zwölf Stationen der inneren und äußeren Entwicklung bzw. Reifung). Und dabei wurde mir klar: Es braucht ebenso wie beim Theater oder Figurenspiel nicht nur die tolle Idee und die gute Absicht, es braucht solides Handwerk!

Nachdem ich also die erste Grundstruktur der Geschichte und auch einen Arbeitstitel hatte: „Lykke Eira – Zwergenreise“ (der dann tatsächlich auch der endgültige Titel wurde – manchmal passt's einfach von Anfang an), buchte ich eine recht kostspielige Ausbildung zum Romanautor (zwei Jahre) dazu. In diesem Rahmen konnte ich noch jede Menge über Schreibtechnik, Erzählperspektiven, Weltenbau, Figurenfindung (die kannte ich immerhin), Plots (Struktur des Romans), Exposé (2-3 Seiten Kurzbeschreibung) und Pitch (2-3 Sätze Kurzbeschreibung) lernen.

Manchmal kommt zum Dusel auch noch Glück dazu

Von Anfang an fügten sich glückliche Zufälle in den Entstehungsprozess des Manuskripts ein. Ein Corona-Stipendium des Landes Niedersachsen ermöglichte mir eine Recherchereise in die norwegische Gletscherlandschaft. Dank der wunderbaren Kolleg:innen Karen Hoie und Svein Gundersen (UNIMA Norwegen) und einiger sehr aufschlussreicher Touren über Gletscher und in Museen, kam ich wesentlich schlauer und bereicherter wieder zurück.

Dann ergab sich die Möglichkeit der Förderung durch die Stiftung Niedersachsen im Projekt NOW!, das Nachhaltigkeit und Klimawandel in kulturellen Projekten unterstützte. Genau das Hintergrundthema meiner Geschichte (der Heimatgletscher der Schneezwerge schmilzt dahin, was die ganze Geschichte ins Rollen bringt), es passte also wie Schneeball aufs Auge! Somit war nicht nur die Theaterproduktion gefördert, sondern auch die gleichzeitige Entstehung des Kinderbuches. Vor allem war ein professionelles Lektorat bezahlbar. Glück gehabt!

Und manchmal muss man das Glück auch selbst suchen: Auf der Leipziger Buchmesse 2024 bin ich tagelang von Stand zu Stand getingelt, habe mir die Verlagsprogramme angeschaut, habe Kinderbuchlesungen und die sehr empfehlenswerte Autor:innenrunde (ein ganzer Tag mit unzähligen Impulsvorträgen und Gesprächen) mitgemacht und schließlich beim Speeddating mit Verlagen und Agenturen mein Exposé vorgestellt. Während eine
Agentur das Manuskript sofort als unveröffentlichbar bewertete (weil es mit 300 Seiten in kein Kinderbuch-Verlagsprogramm passe), war der nächste Verlag sofort begeistert („Das ist genau unser Thema!“) und schlug zu.

Achtung Falle!

Kinderbuchverlage haben alle ganz bestimmte Verkaufslinien. Vereinfacht gesagt gibt es Pappbilderbücher, Vorlesebücher, Erstlesebücher, Kinderbücher und dann Jugendromane. Und für alle gelten ganz eng gesetzte Vorgaben. Ein Kinderbuch ab acht Jahren sollte in der Regel 120 Seiten nicht überschreiten, sollte sympathische Illustrationen haben und für Mädchen glitzern und für Jungs entweder Abenteuer oder verrückten Witz enthalten. Für die Jüngeren ab sechs Jahren müssen es zauberhafte Pony-oder Einhorngeschichten sein (natürlich mit Glitzer) oder entsprechend Dino-, Monster- oder Gespenstergeschichten. Ach ja, Magie und Zauberei oder Piraten gehen auch immer. Wer hier nicht hineinpasst hat keine Chance, denn Verlage wissen, womit sie Geld verdienen und womit nicht.

Meine Geschichte über ein abstürzendes Schneezwergenmädchen mit über 300 Seiten passte also nirgends hinein. Eigentlich.

Fertig geschrieben – nun fängt die Arbeit erst richtig an

„Ha, so ein Kinderbuch, das schreibe ich eben mal in ein paar Wochen.“ Könnte man denken, ist aber leider nicht richtig. Selbst wenn das Manuskript nach mehreren Monaten des Schreibens fertig geworden ist, beginnt die eigentliche Arbeit erst: das Überarbeiten. Ich habe meine Geschichte 10-15 mal überarbeitet, Szenen verschoben, umgeschrieben, gesäubert, gekürzt und ergänzt, bevor sie überhaupt ins Lektorat ging (Janosch wird zitiert, dass er jede Geschichte mindestens 27 mal überarbeitet, bevor er sie freigibt).

Dann sind mindestens zwei Lektoratsdurchgänge empfehlenswert: Einmal für die Grundstruktur und Logik der Geschichte und ein weiteres Mal für die stilistische Überarbeitung. Bloß nicht erschrecken, es kommen viele angestrichene Stellen und Verbesserungskommentare zurück (wie damals nach der versemmelten Klausur, mit viel Rot an der Seite). Aber nur so kann aus der Geschichte auch ein Roman werden. Bei einer Theaterproduktion
geht es ja auch nicht ohne Regie und Veränderung der Szenen. Ach ja, dazu kommen natürlich noch das Korrektorat, die Illustrationen, das Layout, der Buchsatz, die Covergestaltung, der Klappentext, die Mediadaten für den Verkauf, die Buchhandelskontakte bzw. Veröffentlichung in der Buchhandelsliste und so weiter!

Wer dies alles als Selfpublisher macht, hat nach der Fertigstellung des Manuskriptes also noch mindestens doppelt so viel zu tun. Doch selbst wenn man einen Verlag gefunden hat, der das Buch in sein Programm nimmt, gibt es noch jede Menge Fallstricke: Der Verlagsvertrag (da hatte ich zum Glück professionelle Beratung durch den BVJA - Bundesverband der Jungen Autoren), die Diskussion ums Coverdesign (ich weiß von einer Autorin, die so enttäuscht vom Verlagscover war, dass sie ihr erstes Buch hasst) und natürlich das Marketing.

Wie, auch noch Marketing?

Egal ob Selfpublisher:in oder nicht, die Hauptarbeit des Marketings liegt bei dir selbst. Nur Erfolgsautor:innen bekommen die Unterstützung des Verlags. Von den etwa 100.000 Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt (pro Jahr!) floppen mindestens 95%. Nicht weil sie so schlecht sind, nein: Weil keiner sie kennt. Sie liegen nicht auf den Tischen der Buchhandlungen, sie erscheinen nicht auf den Bestsellerlisten, sie verschwinden im Unbekannten. Das kann man nur verhindern, indem man sehr viel Zeit und Ideen ins Marketing steckt. Allein zu diesem Thema gibt es unzählige Onlinekurse, die man alle buchen kann, um dann wochenlang bei Instagram, Facebook oder TicToc sein Buch anzupreisen.

Kreativmarketing

Unsere Chance als Figurenspieler:innen ist, dass wir bereits Öffentlichkeit erreichen: Während unserer Auftritte, über unsere Webseiten oder Newsletter. Und wir könnten Lesungen mit Figuren anbieten, das scheint noch eine Nische zu sein, die bislang nicht existiert.

Meine besonderer Marketing-Gag: Ich hatte mir einen eigenen Stand auf der Leipziger Buchmesse 2025 gebucht, ausgestattet mit den Figuren der Geschichte (ich hatte ja inzwischen „Lykke Eira – Zwergenreise“ auch als Figurentheaterstück inszeniert) und „tadaaah!“ einem Eisklotz mit darin eingefrorenem Buch als langsam dahinschmelzenden Mini-Gletscher, auf einer speziell angefertigten Stele platziert. Ein absoluter Hingucker.

Denn ein Messestand bringt nur Kontakte, wenn es gelingt, die Aufmerksamkeit der Vorbeihastenden zu gewinnen. Das geht mit dem Verteilen von kleinen Geschenkchen, Postkärtchen, Lesezeichen… oder einem echten Gletscher.

Dreimal so viel

Mein Fazit: Das Schreiben eines Kinderromans bedeutet dreimal so viel Arbeit wie das Erstellen einer neuen Theaterproduktion, ebenso viel Zeit, Geduld und Ideenreichtum. Da darf man sich nichts vormachen! Hat es sich also nicht gelohnt? Doch, es ist schon einfach geil, die eigene Geschichte als Buch in der Hand zu halten. Und ich liebe meine Geschichte!

Falls jetzt jemand Lust bekommen hat, meinen Roman zu unterstützen, der könnte einfach in seinen Lieblingsbuchladen stiefeln und sagen, dass sie dort unbedingt „Lykke Eira – Zwergenreise“ auf ihrem Auswahltisch liegen haben sollten. „So ein schönes Buch …“

„Lykke Eira – Zwergenreise“, Herodot-Verlag, 360 Seiten, 70 farbige Illustrationen, als Vorlesebuch ab ca. 6 Jahren, zum Selbstlesen ab ca. 8 Jahren, erhältlich in jedem Buchladen. (ISBN 978-3-9841-180-0)

Weitere Infos zur Geschichte unter https://www.lykke-eira.com

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