Altera Pars. Eine verstrickte Zergliederung in fünf Akten

  • Von Ralf Kiekhöfer, Töfte Theater
  • Erschienen in Ausgabe Nr. 114 (2016/1)

Auszug aus dem Artikel "Auf der Suche nach Identität" über die studentischen Inszenierungen während des VDP-Bundeskongresses + Festival 2016 in Hohnstein

Abschlussinszenierung von Iris Keller im Fach Figurentheater – MH Stuttgart, 2015.
Konzept/Spiel/Ausstattung/Sound/Texte: Iris Keller; Regie: Violaine Fimbel; Dauer: 30 min.

In einem enganliegenden, hautfarbenen Ganzkörperkostüm, das Nacktheit andeutet, liegt ein Wesen bäuchlings auf einer ca. 4 x 2 Meter großen, ebenfalls hautfarbenen Landschaft. Aus dem Off hört man eine flüsternde Frauenstimme:

„Tschüss Mutter. Wird es ein Junge oder ein Mädchen? Die Reise geht los.“

Das Wesen erwacht, und wir sehen Verunstaltungen an Rücken, Beinen und Schulter, die sich wie Furunkel unter der „Haut“ hervorheben.
„Lernen wer die Prinzessin ist, wer der Pirat...“, hören wir die Off-Stimme, und als das Wesen aus einer kleinen Öffnung in der Bauchhöhe einen Wollfaden wie eine Nabelschnur hervorzieht, können wir als Zuschauer die Szene verorten. Wir erleben das Entstehen eines neuen Lebens im Bauch der Mutter.
Junge oder Mädchen?

Noch wirkt das buckelige Wesen geschlechtslos, bis am Ende des Fadens ein gehäkelter, etwa handgroßer Penis den „Bauch“ verlässt. Dieser sucht Aufmerksamkeit, lässt sich streicheln und wiegen, erkundet seine Umgebung, den Körper, platziert sich zwischen den Schenkeln und lässt sich, wenn auch mit leichtem Widerstand, abschütteln, nur um im nächsten Moment von einem etwa armgroßen, wiederum gehäkelten Phallus abgelöst zu werden. Dessen Bewegungen wirken nun schon dringlicher, er setzt sich obszön auf den Kopf des Wesens und kämpft um seinen Stellenwert. Fast mit Gewalt wird er abgeschüttelt und von einem dritten, gehäkelten Monster-Phallus, größer und breiter als das Wesen, ersetzt. Die Spielerin wird vollständig überstülpt und muss den Phallus nach einem orgiastischem Tanz regelrecht „zusammenfalten“.

Im Off überlappen sich Textfragmente: „... Zugang zum Körper ... wie muss ich mich fühlen ... mein Körper platzt aus allen Nähten ... ich bin ich ...“ Am Ende, erschöpft von dem Kampf, zieht das Wesen die letzten Fäden aus seinem Inneren hervor, der Körper wirkt nun eben, gleichmäßig und schön. Der am Ende des letzten Fadens hängende handgroße gehäkelte Penis wird umgestülpt und mit der Anmutung einer Vagina zwischen die Schenkel gelegt.
„Ich bin dann mal so Frau“, sagt die Stimme im Off und das Wesen geht von der Bühne. Ein Mädchen ist geboren.

Altera Pars. Eine verstrickte Zergliederung in fünf Akten

Iris Keller in ihrer Abschlussinszenierung (Foto: T. Lekin)

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